Industriespionage: Mehrere Dax-Konzerne von Hackerangriff betroffen
(ots) - Eine Hackergruppe hat offenbar in großem Umfang
deutsche Unternehmen ausgespäht. Recherchen von BR und NDR haben
ergeben, dass mindestens acht deutsche Unternehmen betroffen sind,
darunter sechs DAX-Konzerne. Zudem sind rund ein Dutzend weiterer
Unternehmen aus dem Ausland angegriffen worden. Ziel der Hacker ist
die Chemie- und Pharma-Branche, aber mutmaßlich auch
Telekommunikationsunternehmen und eine Fluglinie. Auch auf eine
Hotel-Kette haben die Hacker Angriffe vorbereitet.
Eine technische Analyse von BR und NDR zeigt, dass die Gruppe
mutmaßlich unter anderem gegen den Waschmittel-Hersteller Henkel,
gegen den Technologiekonzern Siemens, die Chemie-Konzerne BASF und
Covestro und den Schweizer Pharma-Riesen Roche aktiv gewesen ist.
Zudem infizierte die Gruppe offenbar die Systeme der Fluglinie Lion
Air aus Indonesien und versuchte die US-Hotelkette Marriott
anzugreifen.
Henkel bestätigte den Vorfall auf Anfrage. Das Unternehmen teilte
mit, dass man keine Hinweise darauf habe, dass Firmengeheimnisse
kopiert worden seien. Auch BASF, Covestro und Siemens bestätigten,
dass sie attackiert worden sind. Alle drei Unternehmen sagten, man
habe die Hacker aus den Netzen entfernen können. Man habe keine
Hinweise, dass sensible Daten abgegriffen worden sind. Roche
antwortete nur pauschal auf eine Anfrage, dass man IT-Sicherheit
ernst nehme. Die übrigen Unternehmen ließen die Anfrage zunächst
unbeantwortet.
IT-Sicherheitsexperten haben die Gruppe und die von ihr benutzte
Schadsoftware "Winnti" genannt. Zu den weiteren mutmaßlich von
"Winnti" befallenen Konzernen gehört offenbar der US-amerikanische
Software-Hersteller Valve, der für die Spiele-Plattform Steam bekannt
ist. Das legen Spuren im Schadcode nahe. Auch zwei japanische
Industriekonzerne, Shin-Etsu und Sumitomo, wurden offenbar von der
Gruppe attackiert. Die Unternehmen antworteten auf Anfrage nicht. BR
und NDR hatten im April bereits berichtet, wie der Chemie-Konzern
Bayer von der Gruppe ausgespäht worden ist. Schon im Jahr 2016 war
Thyssen-Krupp erfolgreich von "Winnti" angegriffen worden. Der
Spiegel hatte zudem berichtet, dass das deutsche Software-Haus
Teamviewer Opfer von "Winnti" gewesen sei.
Um die betroffenen Unternehmen ausfindig zu machen, haben Reporter
von BR und NDR mit der Hilfe von Wissenschaftlern der Ruhr-Uni Bochum
Teile des Schadcodes analysiert, den die Hacker für die Angriffe
verwendet haben. In diesem Code hatten die Angreifer unter anderem
vermerkt, gegen welche Konzerne sie die Schadprogramme einsetzen
wollten. Inwiefern durch die Angriffe Daten der betroffenen
Unternehmen kopiert worden sind, geht aus der Analyse nicht hervor.
Zuletzt sind die "Winnti"-Hacker wohl dazu übergegangen, ihr
Aufgabengebiet um politische Spionage zu erweitern. So fanden BR und
NDR heraus, dass IT-Systeme der Regierung von Hongkong mit der
Schadsoftware infiziert gewesen sind. Ein Regierungssprecher
bestätigte den Vorfall auf Anfrage.
Die industrienahe Deutsche Cybersicherheitsorganisation (DCSO)
bezeichnet die "Winnti"-Hacker als "Söldnertruppe", die dem
chinesischen Staat nahestehen soll. Man beobachte die Truppe schon
sehr lang "so dass wir aus ganz vielen Indizien sagen können, dass
''Winnti'' mit einer hohen Wahrscheinlichkeit chinesisch
beziehungsweise chinesisch gesteuert ist", sagte ein Sprecher.
Die US-Justiz hat im vergangenen Jahr Anklage gegen einen
chinesischen Staatsbürger wegen eines Hacker-Angriffs auf einen
Hersteller von Gasturbinen erhoben. Laut Gerichtsunterlagen soll der
Mann "Winnti"-Schadcode im Staatsauftrag verwendet haben.
Viele der Hinweise, die nach China deuten, sind allerdings schon
einige Jahre alt. Inwiefern sich die aktuellen, zum Teil bis Mitte
2019 reichenden Angriffe damit Hackern aus dem Land technisch
zuordnen lassen, ist unklar. Mitarbeiter einer deutschen
Sicherheitsbehörde warnen davor, dass es theoretisch auch möglich
wäre, dass andere Akteure die ursprüngliche "Winnti"-Gruppe bewusst
imitieren.
Das chinesische Außenministerium und die Botschaft in Berlin
ließen Anfragen zu "Winnti" unbeantwortet. Das Bundesinnenministerium
erklärte auf Anfrage, der Bundesregierung seien aus den vergangenen
Jahren einige "Winnti"-Fälle bei deutschen Unternehmen bekannt. Zu
den einzelnen Vorfällen wolle man sich nicht äußern.
Generell seien Hackerangriffe "als wichtige Methode der
Informationsgewinnung für ausländische Nachrichtendienste fest
etabliert und werden zur Durchführung von Wirtschaftsspionage
eingesetzt", teilte ein Sprecher mit. Diese Angriffe seien
kostengünstig, in Realzeit durchführbar und besäßen eine hohe
Erfolgswahrscheinlichkeit. "Ernsthafte politische oder
strafrechtliche Risiken bestehen für die Angreifer aufgrund
vielfältiger Verschleierungsmöglichkeiten nicht", sagte das
Innenministerium. Die Bundesregierung nehme die Bedrohung durch
Hacker, unabhängig von deren Ursprung, sehr ernst.
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