Neue VCI-Studie analysiert Potenzial und Voraussetzungen für starke CO2-Minderung der Branche / Eine treibhausgasneutrale Chemie ist technologisch möglich
(ots) - Die deutsche chemische Industrie kann ihren
Ausstoß von Treibhausgasen mithilfe neuer Produktionstechnologien bis
zur Mitte des Jahrhunderts fast vollständig reduzieren. Dies ist das
Ergebnis einer Studie des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI),
erstellt durch die Gesellschaft für Chemische Technik und
Biotechnologie (DECHEMA) und dem Beratungsunternehmen FutureCamp. Die
Analyse untersuchte auch die Voraussetzungen, damit die Branche bis
2050 treibhausgasneutral werden kann: Neben der Entwicklung neuer
Verfahren vor allem in der Basischemie sind dazu ein dauerhaft
niedriger Industriestrompreis sowie erhebliche Mengen emissionsfreien
Stroms aus erneuerbaren Quellen notwendig.
VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup erklärte, die
Studie sei Ergebnis einer langen und intensiven Beschäftigung der
Branche mit dem Thema Klimaschutz. Er sagte vor Journalisten in
Berlin: "Die deutsche Chemie bekennt sich zur gesellschaftlichen
Aufgabe Treibhausgasneutralität. Wir wollen diesen Weg bis 2050
erfolgreich beschreiten. Dabei wollen wir als deutsche Branche die
Speerspitze der technologischen Transformation der globalen
Chemieindustrie bilden." Um die Unternehmen bei diesem Prozess zu
unterstützen, plant der VCI eine neue Plattform zu etablieren, die
Expertise aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenführen und
die gesamte Wertschöpfungskette vom Produzenten bis hin zum
Endkonsumenten sowie Politik und Gesellschaft einschließen soll.
Klaus Schäfer, Vorsitzender des VCI-Ausschusses Energie,
Klimaschutz und Rohstoffe, stellte die Inhalte der VCI-Studie vor.
Wie der Vorstand der Covestro AG erläuterte, sind die erforderlichen
CO2-freien Verfahren zur Herstellung von Basischemikalien heute
prinzipiell bekannt, sie müssten aber für die groß-technische
Verwendung noch weiterentwickelt und marktreif gemacht werden. Ihr
Einsatz sei ab Mitte der 2030er Jahre denkbar. Schäfer sagte: "2050
ist eine weitgehend treibhausgasneutrale Chemieproduktion in
Deutschland technologisch vorstellbar. Dafür müssen aber alle
Voraussetzungen stimmen: Unternehmen können die Transformation hin zu
null Emissionen nur vorantreiben, wenn sie in jeder Phase
wettbewerbsfähig bleiben und über große Mengen erneuerbaren Stroms zu
niedrigen Kosten verfügen können."
Drei Entwicklungspfade analysiert
Die Studie mit dem Titel "Auf dem Weg zu einer
treibhausgasneutralen chemischen Industrie in Deutschland" beschreibt
die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte anhand drei unterschiedlicher
Ambitionsniveaus:
In einem Referenzpfad würde die deutsche Chemie weiterhin mit den
heutigen Technologien produzieren, ihre Effizienz durch
kontinuierliche Investitionen aber weiter erhöhen. Damit kann sie bis
2050 eine Treibhausgasminderung von 27 Prozent bezogen auf das Niveau
von 2020 erreichen.
Sogar 61 Prozent Minderung sind möglich, wenn die Unternehmen im
zweiten Technologiepfad zusätzlich stark in neue Prozesstechnologien
der Basischemie investieren. Allerdings geht mit diesem
Ambitionsniveau bereits ein sehr hoher Bedarf an erneuerbarem Strom
von 224 Terawattstunden pro Jahr einher, was der Gesamtstrommenge
Deutschlands aus erneuerbaren Energien 2018 entspricht. Das
zusätzliche Investitionsvolumen in neue Anlagen liegt bei rund 15
Milliarden Euro.
Noch weitergehende Maßnahmen beschreibt der dritte Pfad
Treibhausgasneutralität, der die Lücke zur vollständigen
CO2-Minderung schließt: Danach würden neue Prozesstechnologien von
den Unternehmen schon dann eingeführt, wenn sie eine CO2-Ersparnis
erbringen, selbst wenn sie noch nicht wirtschaftlich sind. Alleine
für die Herstellung der sechs in der Studie untersuchten
Grundchemikalien müssten die Unternehmen von 2020 bis 2050 rund 45
Milliarden Euro zusätzlich investieren. Der Strombedarf würde ab
Mitte der 2030er Jahre zudem noch einmal rasant ansteigen und mit 628
Terawattstunden etwa das Niveau der gesamten heutigen Stromproduktion
in Deutschland erreichen.
Notwendige Rahmenbedingungen
Für Klaus Schäfer zeigen die Ergebnisse der Studie, dass eine
treibhausgasneutrale Chemie ohne günstige Rahmenbedingungen schwierig
umzusetzen ist. Er sagte: "Je ambitionierter die deutsche Chemie das
Ziel Treibhausgasneutralität verfolgt, umso stärker steigen die damit
verbundenen Kosten und der Strombedarf. Die Politik steht vor der
Aufgabe, neue Technologien in allen Phasen von der Entwicklung bis
zur Markteinführung zu begleiten. Sie muss zudem die chemische
Industrie am Standort Deutschland international wettbewerbsfähig
erhalten." Dies kann laut Schäfer entweder über ein globales
Klimaschutzabkommen oder durch staatliche Unterstützung geschehen.
Vor allem niedrige Strompreise seien für die Branche auf dem Weg
zur Treibhausgasneutralität unabdingbar, sagte Schäfer: "Die neuen
Verfahren sind in Deutschland vor 2050 nur bei Stromkosten von 4 Cent
pro Kilowattstunde wirtschaftlich. Davon sind wir heute weit
entfernt. Die Politik werde daher über die heutigen Entlastungs- und
Carbon-Leakage-Regeln hinaus weitere Maßnahmen treffen müssen, um die
Stromkosten für die Industrie zu dämpfen." Bereits 50 Prozent höhere
Stromkosten - also 6 Cent je Kilowattstunde - würden bei den meisten
Verfahren die Wirtschaftlichkeit in einen Zeitraum deutlich nach 2050
verschieben, erklärte Schäfer.
Der VCI vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen von rund
1.700 deutschen Chemieunternehmen und deutschen Tochterunternehmen
ausländischer Konzerne gegenüber Politik, Behörden, anderen Bereichen
der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien. Der VCI steht für
mehr als 90 Prozent der deutschen Chemie. 2018 setzte die Branche 203
Milliarden Euro um und beschäftigte rund 462.500 Mitarbeiter.
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Datum: 09.10.2019 - 10:41 Uhr
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