Trotz Corona-Pandemie: 5 Gründe, warum die Raumfahrt 2021 weiter an Bedeutung gewinnt (FOTO)
(ots) - Marco Fuchs, CEO des Raumfahrtunternehmens OHB SE, sieht fünf Trends, die die Raumfahrt auch ab 2021 trotz Corona-Pandemie an Bedeutung gewinnen lassen werden. In seiner Kolumne "Space Encounter", die im Digitalmagazin der Firmenwebseite veröffentlicht wurde, nennt der Bremer Familienunternehmer folgende Entwicklungen, die die Raumfahrtindustrie weiter stärken werden:
1) Mehr und bessere Daten über die Entwicklung des Klimas und der Umwelt werden unser Schicksal entscheiden. Diese Daten werden künftig sozusagen live zur Verfügung stehen. Es wird eine permanente Überwachung von Klima- und Umweltparametern via Satelliten geben. Den Druck, diese Datenbasis auf Abruf ständig verfügbar zu haben, hat sich Europa kürzlich selbst gemacht. Beim letzten EU-Gipfel im Dezember hat die EU ihre eigenen Klimaziele für 2030 deutlich verschärft. Der Ausstoß von Treibhausgasen soll um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 sinken, bisher galt ein Minus von 40 Prozent. Damit bekräftigt Europa sein Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden.
Dass es Europa ernst meint mit einer weltweit führenden Rolle im Klimaschutz, wurde schon im November 2019 durch den Beschluss der damaligen ESA-Ministerratskonferenz deutlich. Die ESA-Staaten haben sich damals auf sechs weitere Missionen des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus verständigt. Im Sommer 2020 hat die ESA die Aufträge dazu vergeben. Ich glaube fest daran, dass die Klimaziele nur dann erreicht werden können, wenn stichhaltige Daten und Fakten vorliegen, die der Wissenschaft als Basis für neue Klimamodelle dienen und Politikern als Grundlage, davon kluge Entscheidungen abzuleiten. Die Quelle dieser Daten werden künftig zunehmend Satelliten sein.
Darüber hinaus müssen wir uns jedoch auch mit der Frage beschäftigten, ob die bisherigen Maßnahmen, die Treibhausgasemissionen zu beschränken, ausreichend sind. Ich habe im Lauf dieses Jahres viele Gespräche mit Wissenschaftlern dazu geführt. Sie haben mir erklärt, dass sich die Klimakrise in einer Art beschleunigt, die auch alternative Maßnahmen erfordern könnte. Experten sprechen dabei von Geoengeneering beziehungsweise Solar Radiation Management. Ein Team aus Ingenieuren und Wissenschaftlern von OHB hat sich in einer internen Studie damit beschäftigt. Nach einem intensiven Austausch mit Klimaforschern der Universität Bremen und des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven bin ich zu dem Schluss gekommen: wir müssen eine Diskussion über flankierende Maßnahmen durch Geoengeneering führen. Noch gibt es viele Vorbehalte, doch auch auf diesem Feld ist ein Live-Tracking der Maßnahmen durch Raumfahrttechnologie möglich und würde dadurch Irrwege schnell sichtbar machen.
2) Der Ausbau der europäischen Satellitennetze wird ungebremst fortgesetzt werden. Anfang 2021 wird die ESA die Aufträge für die Satelliten der zweiten Generation des europäischen Navigationssystems Galileo vergeben. Die Flotte der Satelliten des europäischen Erdbeobachtungssystems Copernicus wird aus den oben beschriebenen Gründen stetigen Zuwachs erfahren. Und schließlich hat die ESA vor einigen Wochen den Auftrag für eine Machbarkeitsstudie für ein drittes großes europäisches Satellitenprogramm an ein Konsortium europäischer Raumfahrtunternehmen initiiert, zu denen auch OHB gehört. Die EU plant, eine sogenannte Konstellation - also eine Flotte tausender kleiner Satelliten - zu entwickeln, um flächendeckendes Internet aus dem All anbieten zu können.
3) Das Segment des sogenannten New Space wird sich auch in Europa als wichtiger Bereich der Raumfahrt durchsetzen und die Kommerzialisierung der Branche vorantreiben . Josef Aschbacher hat bei einer Pressekonferenz aus Anlass seiner Berufung zum neuen ESA-Chef einige Punkte genannt, die er gleich an seinem ersten Arbeitstag angehen will. Dazu gehört, die Kommerzialisierung der Raumfahrt "intensiv voranzutreiben". Deutschland spielt dabei eine führende Rolle! Wir erleben gerade ein "Race to Space" dreier Start-Ups, die an sogenannten Microlaunchern arbeiten, also kleinen Raketen, mit denen kleine Satelliten ins All geschossen werden können. Eines dieser ambitionierten Unternehmen ist die Rocket Factory Augsburg, die unter dem Dach von OHB den Erststart für 2022 plant.
Ich glaube fest an den Markt, den Microlauncher künftig bedienen können. Die Satelliteninfrastruktur wird künftig auch zunehmend von Schwärmen hunderter bis tausender kleiner Satelliten gebildet, die in niedrigen Orbits eine Vielzahl unterschiedlicher kommerzieller Dienste liefern werden. Das wird zu einer Industrialisierung der Satellitenindustrie führen, womit die Produktion eines Modells deutlich günstiger werden wird. Diese Industrialisierung werden wir dann auch bei den kleinen Raketen erleben. Denn Konstellation müssen sehr viel öfter mit Ersatzsatelliten versorgt werden. In einigen Jahren werden wir deshalb eine sehr viel stärker industrialisierte sowie kommerzialisierte europäische Raumfahrt sehen.
4) Die transatlantische Zusammenarbeit wird durch die Wahl Joe Bidens neu belebt werden. Und das wird sich auch positiv auf die Raumfahrt auswirken. Europäer und Amerikaner haben in der Vergangenheit auf diesem Feld immer sehr gut und erfolgreich zusammengearbeitet. Ich bin überzeugt, dass wir deshalb in den nächsten Jahren wieder mehr gemeinsame Projekte erleben werden - und ich bin auch zuversichtlich, dass daraus neue, langfristige Kooperationen und Partnerschaften entstehen werden.
Diese wiederbelebte gute Zusammenarbeit zwischen Europa und Amerika wird auch Deutschland neues Selbstverstrauen verschaffen. Die Bundesrepublik verfügt durch die Fähigkeiten der deutschen Raumfahrtindustrie über Technologien, mit denen sie künftig einen wichtigen Beitrag in der NATO und für die Souveränität Europas leisten kann. Aufklärungs-, Beobachtungs- und Kommunikationstechnologien sind dafür entscheidende Kompetenzen. Deutschland wird so auch seiner Verantwortung für die Sicherheit der Bürger der Europäischen Union gerecht werden können.
5) Corona wird einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft haben. Viele Dinge werden bleiben, auch wenn ein Impfstoff in einiger Zeit wieder so etwas wie Normalität herstellen wird. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass wir wieder in gleicher Weise beruflich reisen werden. Jedes Unternehmen hat in den vergangenen Monaten für sich festgestellt, wie einfach und vor allem wie viel ressourcenschonender es ist, sich bei reinen Abstimmungsrunden per Video- oder Telefonkonferenz zu besprechen. Es wird auch kein Zurück mehr zur alten Präsenzkultur geben. Flexible Arbeitsmodelle, Arbeiten von unterwegs oder Zuhause - das wird sich in einem für den jeweiligen Bereich passenden Mix zur Selbstverständlichkeit entwickeln. Für mein Unternehmen kann ich zudem sagen, dass Corona uns gezeigt hat, wie unglaublich kreativ, verantwortungsbewusst und schnell die Belegschaft auf die Krise reagiert hat. Daraus folgen wichtige neue Impulse für die Weiterentwicklung von Unternehmenskulturen.
Wir dürfen nur eine Sache nicht dabei vergessen: vor 20 Jahren wäre all das in dieser Form nicht möglich gewesen. Warum? Ganz einfach: weil die Technologie damals noch nicht soweit war. Es wäre gar nicht auszudenken, welche Folgen diese Pandemie um die Jahrtausendwende gehabt hätte. Home Office: undenkbar. Mobiles Arbeiten: technisch kaum umsetzbar. Home Schooling: womit? Die für mich entscheidende Konsequenz aus der Pandemie lautet: wir müssen die Digitalisierung in Deutschland massiv weiter vorantreiben. Ich halte es aufgrund der Erfahrungen des Jahres 2020 nicht für übertrieben zu sagen: der Digitalisierungsgrad einer Gesellschaft entscheidet heute darüber, wie resilient sie gegenüber Krisen und großen Herausforderungen ist. Der Ausbau der Digitalinfrastruktur wird nicht zuletzt auch über raumfahrtbasierte Technologien geschehen. Satelliten werden einen wesentlichen Teil flächendeckender Versorgung mit Internet leisten.
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Günther Hörbst
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Datum: 22.12.2020 - 11:33 Uhr
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