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Der Müllschwund-Spuk und die Zertifikatsbürokratie der Entsorgungswirtschaft: Neue Hindernisse für Recyclingwettbewerb

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(industrietreff) - Düsseldorf/Berlin - Mit einem Zertifikat wollte der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) dem Müllschwund in Gelben Tonnen und Säcken ein Ende bereiten. Betrüger, Manipulatoren, Schwarze Schafe, Trittbrettfahrer und Trickser würden versuchen, die Sammelmengen künstlich nach unten zu rechnen. Besonders groß sei die Versuchung bei den so genannten Leichtverpackungen aus Kunststoff, Weißblech, Alu und Verbundmaterial - sie verursachen die höchsten Kosten für die Sortierung und Verwertung. Anfang des Jahres war man in der Lobbyorganisation der Entsorger davon überzeugt, dass in der Sammelbilanz rund 400.000 Tonnen fehlen würden.

Jetzt hat das Umweltministerium in NRW dem Müllschwund-Spuk ein Ende bereitet. Das Ganze beruhe in erster Linie auf einem profanen Eingabefehler. Ein Unternehmen meldete nur 37,392 (also gut 37 Tonnen) statt 373.916 Tonnen. Eine „transparentere Informationspolitik des DIHK", so das NRW-Umweltministerium, hätte es nicht nur den Behörden, sondern auch den beteiligten Unternehmen ermöglicht, „die Diskussion auf einer wesentlich fundierteren Grundlage zu führen." Die geschilderten Ungereimtheiten hätten leicht durch eine elektronische Abgleichroutine ausgeräumt werden können. Diese hätten die Bundesländer bislang vergeblich beim DIHK angefordert. Im Klartext: Statt wettbewerbswidrige Zertifizierungsprozeduren einzuführen, hätten DIHK und BDE sich lieber erst einmal um eine bessere Informationsverarbeitung kümmern sollen.

Seit Anfang des Jahres, als noch vom Müllschwund-Betrug geredet wurde, vergibt der BDE auf Antrag das „Zertifikat zur Sicherstellung der privatwirtschaftlich organisierten haushaltsnahen Verpackungsentsorgung durch Duale Systeme". Sechs der neun auf dem Markt für die Erfassung und Entsorgung von Leichtverpackungen (LVP) miteinander konkurrierenden Dualen Systeme haben inzwischen dieses Zertifikat erworben. Die Prozedur der Zertifizierung ist ziemlich aufwändig: Entsorgungsbetriebe, die das Zertifikat erwerben wollen, müssen sich einer permanenten Überwachung durch Wirtschaftsprüfer unterziehen. Diese müssen ihre Tätigkeit mit einem Fachprüferausschuss anerkannter Umweltsachverständiger abstimmen. Nicht allein die Mengenströme, sondern auch die ökologische Korrektheit der Verwertung von LVP-Abfällen sollen also kontrolliert werden. Überdies müssen die zertifizierten Unternehmen für den Fall einer vorzeitigen Betriebsaufgabe eine Summe als Sicherheitsleistung auf die hohe Kante legen. Und bei Verstößen gegen inhaltliche Kriterien des Zertifikats droht ihnen eine Vertragsstrafe in Höhe von 3,5 Millionen Euro. Mithilfe des Zertifikats soll Rechtssicherheit erreicht werden und eine Mengenmeldung entsprechend der Vorgaben der Verpackungsverordnung. BDE-Präsident Peter Kurth formulierte es so: „Mit diesem Zertifikat haben wir ein Instrument entwickelt, das die Fähigkeit besitzt, für Stabilität und Nachhaltigkeit im Verpackungsmarkt zu sorgen."





Doch bestimmten Lobby-Kreisen geht es wohl um noch etwas ganz anderes: Die aufwändigen Zertifizierungsprozeduren und Sicherheitsleistungen stellen eine hohe Hürde für den Eintritt neuer Wettbewerber in den Markt dar. Gleichzeitig ermöglichen sie es den etablierten Unternehmen, ihre Deutungshoheit über die Umsetzung der Verpackungsverordnung zu wahren. Stefan Schreiter, der Geschäftsführer des zertifizierten Marktführers, des Ex-Monopolisten DSD GmbH, hat erst kürzlich die wachsende Eigenrücknahme von Leichtverpackungen durch den Handel als „Betrugsmodell" hingestellt. Alternativen kann der Marktführer offenbar nur als „Wettbewerbsverzerrung" wahrnehmen.

Der Wettbewerbsrechtler Professor Hans-Peter Schwintowski von der Freien Universität Berlin weist darauf hin, dass nach europäischem Recht regulierende Eingriffe in Märkte grundsätzlich nur dann zulässig sind, „wenn der Wettbewerb auf dem Markt messbare Funktionsdefizite aufweist." Das gelte auch für die Einführung von Zertifizierungssystemen mit Strafandrohung, selbst wenn diese formal auf freiwilliger Basis erfolgen. „Reglementierungen dieser Art sprechen eigentlich immer dafür, dass irgendeiner der Marktteilnehmer seine besondere Finanzkraft nutzen will, um die anderen mittel- und langfristig vom Markt zu verdrängen", meint Professor Schwintowski. Bleibt also die Frage, ob der vom BDE verfochtene Eingriff in den Markt allein wegen statistischer Ungereimtheiten gerechtfertigt ist.

Siehe auch den Beitrag „Die Mülltronnen-Verschwörung": http://gunnarsohn.wordpress.com/2011/07/05/die-mulltonnen-verschworung-warum-kleine-grune-mannchen-gelbe-tonnen-durchwuhlen-und-gelbe-sacke-aufschlitzen/

Das Schreiben des NRW-Umweltministeriums liegt der NeueNachricht-Redaktion vor. 


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Datum: 14.07.2011 - 00:55 Uhr
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